Sonntag, 24. Januar 2010

Große Erwartungen

Ein Freund von mir ist unglaublich unzuverlässig. Wenn wir uns verabreden, dann habe ich schon Glück, wenn es nur ein paar Minuten Verspätung sind, weil es auch durchaus nicht unwahrscheinlich ist, dass er einfach nicht kommt. Nach einer Weile habe ich gelernt ihn nicht so ernst zu nehmen und damit war die Sache geregelt. Ich musste mich auf nichts verlassen und er musste nichts erfüllen. Dann haben wir irgendwann darüber geredet, weil er sich fragte, warum wir uns nicht mehr so regelmäßig sehen. Ich habe ihm gesagt, dass ich keine Lust habe mich auf ihn zu verlassen, um dann verlassen zu sein. Sichtlich bedrückt hat er sich entschuldigt und versprach Besserung. Wir haben uns für ein paar Tage später verabredet - er hat es wieder vergessen. Diesmal jedoch tat es richtig weh. Wieso? Weil ich diesmal erwartet habe, dass es funktionieren wird.


Der Mensch versuch sein Leben so einfach wie möglich zu gestalten. Deswegen suchen wir nach Mustern im Alltag um Regelmäßigkeiten zu entdecken und diese auszunutzen. Deswegen kategorisieren wir unsere Welt um Dinge schneller einzuordnen und zu entscheiden. Und deswegen schätzen wir unsere Welt ab, wie sie sich verhalten wird. Das hilft uns die Komplexität der Umwelt, auf einen kleinen für uns verständlichen Term zu reduzieren, mit dem man dann einfacher umgehen und arbeiten kann.


Durch unsere Abschätzungen bilden wir Erwartungen und handeln danach. Immer wenn wir einen neuen Gegenstand benutzen oder einen neuen Menschen kennenlernen oder eine bisher unbekannte Aufgabe erfüllen müssen, bilden wir ein mentales Modell aus der neuen Situation und auf Grundlage dieses Modells handeln wir in der Zukunft. Deshalb heißt es auch, dass die ersten Sekunden einer neuen Bekanntschaft unglaublich wichtig sind, weil es sehr schwer ist ein schon gebildetes mentales Modell wieder umzustürzen.


Das wirklich interessante an der ganze Sache ist, dass Erwartungen auch gleichzeitig Emotionen in die Situation legen auch wenn man eigentlich gar nicht involviert sein will. Dadurch, dass wir erwarten erzeugen wir auch Vertrauen. Einerseits Vertrauen in uns, dass wir die Situation richtig einschätzen konnten, aber auch Vertrauen in andere Personen, wenn wir aufgrund derer Verhalten oder Aussagen Erwartungen setzen. Damit folgt leider auch eine große Verletzlichkeit, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden.


Ich setze zum Beispiel großes Vertrauen in meine Beobachtungsgabe und den damit verbundenen Erwartungen. Ich glaube in meine Menschenkenntnis und das erlaubt es mir sehr offen und direkt mit anderen Menschen umzugehen zu können. Leider macht es einen auch sehr leicht verletzbar und das ist für leicht erschütterbare Menschen nicht zu empfehlen. Zu wenig Erwartungen jedoch führen zwar zu einem einfacheren Leben, aber man erlebt nie die schönen Schwankungen des Lebens.


Die Frage ist dann aber: Wieviele Erwartungen sollte man an andere Menschen haben. Ganz ehrlich - ich weiß es nicht. Die meisten Erwartungen werden, meiner Meinung nach, eh unterbewusst gesetzt und hängen direkt von den eigenen Wertvorstellungen und der eigenen Vergangeheit ab. Falls jemand je tolle Einstellung dazu hat, ich bin für jeden Hinweis dankbar.

1 Kommentar:

  1. Also auf einer gewissen Ebene hast du sicher Recht, dass die ersten Sekunden zählen und sich da schon entscheiden kann, ob man jemanden mag oder nicht (bzw. einen Gegenstand). Allerdings hab ich bisher fast immer festgestellt, dass gerade der erste Eindruck von neuen Menschen komplett falsch ist. Durch das Aussehen und die ersten Verhaltensweisen bildet man sich eine Persönlichkeit, aber je näher man eine Person dann kennen lernt, desto mehr versteht man sie erst. Meist ändert sich das Bild durch die gemachten Erfahrungen komplett. Ich glaube, dass nur die grundlegendsten Sachen von Beginn an sichtbar sind. Ist er/sie sympathisch, aufgedreht, intelligent. Aber das tiefgruendige lernt man erst mit der Zeit kennen.

    Mit den Erwartungen ist das also so eine Sache. Menschenkenntnis ist das eine, aber wie du gemerkt hast, ist man nie vor den Handlungen anderer sicher.
    Wichtig ist wohl, dass man aus falschen Erwartungen lernt. Du hast etwas Neues ueber die Person erfahren, was du vielleicht hättest vorher einschätzen können. Das nächste Mal gibst du vielleicht nicht ganz so viel Vertrauen in einer schlagartige Änderung. Das hab ich gelernt.
    Die Erwartung, dass er kommt, hätte ich trotzdem gehabt, aber mit Vorsicht. (ansonsten bräuchte man ja auch gar nicht erst zum Treffpunkt gehen). Skeptisch sein muss ja nicht heißen, dass man die Ziele verliert.

    AntwortenLöschen